Expeditionen unserer LOWA-Athleten laden ein, von unberührten Landschaften und fernen Ländern zu träumen. Doch auch unsere Heimat, genauer gesagt in diesem Fall die LOWA-Heimatregion Hallertau, hat einiges zu bieten. Michael Urban hat seine Heimat in zwei tollen Touren neu entdeckt und seine Eindrücke mit uns geteilt.
Seit 1923 produziert LOWA nun schon am Stammsitz in Jetzendorf – direkt vor der Haustüre eröffnet sich eine hügelige Landschaft, die sofort zum Ausprobieren der Schuhe einlädt.
Jetzendorf liegt im Landkreis Pfaffenhofen und grenzt damit an die südlichen Ausläufer der Hallertau, ihres Zeichens größtes zusammenhängendes Hopfenanbaugebiet der Welt. Hier locken nicht nur wunderschöne Hopfengärten, die die Landschaft unverwechselbar machen, sondern auch malerische Hügel, Wälder, Seen und zahlreiche Rad- und Wanderwege Outdoorbegeisterte an.
Mittendrin in der Hallertau ist Michael Urban aufgewachsen. Für LOWA hat der Tausendsassa zwei neue Touren rund um die „Hopfenmetropole“ Wolnzach in Angriff genommen.
Was es dabei alles zu entdecken gab, Streckenverläufe und viele hilfreiche Infos zu den Touren findest Du hier!
Pilgern in der Hallertau
26 Kilometer von Gosseltshausen nach Siegenburg – Michael Urban unterwegs im tertiären Hügelland in Bayern.
Ein sonniger Sonntagmorgen im März. Es hat –4 Grad, hauchdünnes, weißes Eis bedeckt die Wasserpfützen. Raureif liegt noch in den Schatten der Hallertau, jenen bayerischen Hügellandes, wo der Hopfen wächst. Mein Wanderkollege Tobias und ich stehen grinsend in den Startlöchern, die Vorfreude steht uns ins Gesicht geschrieben. Der Grund: wir wollen gleich mehrere Dinge ausprobieren, die wir noch nie gemacht haben. Erstens wollen wir ein uns noch unbekanntes Naturdenkmal aufsuchen, die Binnendünen bei Siegenburg. Zweitens wollen wir nicht nur dorthin wandern, sondern pilgern. Und drittens wollen wir schauen, inwiefern das alles in den einfachen, günstigen, regionalen und erschwinglichen Rahmen eines Micro Adventures passt. Challenge accepted!
Allerdings wäre da noch ein kleines Hindernis… Obwohl wir beide im römisch-katholischen Altbayern aufgewachsen sind, wo zum Beispiel das Pilgern nach Altötting Tradition hat, sind wir noch nie gepilgert. Also haben wir versucht, das Thema für uns zu erschließen. Verfolgt man das Wort „Pilger“ zu seinem Ursprung zurück, endet man beim lateinischen Adverb „per-egrē“, was so viel wie „aus, in der, in die Fremde“ heißt. Außerdem braucht ein Pilger ein symbolisches Ziel, woraufhin uns die unter Schutz stehenden Naturdenkmäler eingefallen sind. Eine Recherche ergab, dass es hier bei uns im Hopfenland einige solcher Denkmäler gibt: Felswände, Steinbrüche, Bäume, Gruben, Quellen, Höhlen, Weiher, Kapellenhügel und… Dünen. Dünen? Das klang vielversprechend. Noch dazu liegt das Naturschutzgebiet mit den Binnendünen bei Siegenburg im Dürnbucher Forst, der mit 44,74 km² eines der größten Waldgebiete Bayerns ist und den wir auch noch nie durchwandert haben. Das mit dem „in der Fremde sein“ ging schon mal in eine gute Richtung. Doch würde sich auch bei einer solch „kleinen“ Pilgerreise schon das angestrebte Zu-sich-Kommen und Entschleunigen einstellen? Wie würde sich unser Trip von einer normalen Wanderung unterscheiden? Was würden wir vorfinden? Wir sind gespannt.
Wir starten von Gosseltshausen bei Wolnzach aus, das Autobahndreieck Holledau lässt grüßen. 27 Kilometer haben wir vor uns. Bereits nach einem Kilometer entdecken wir einen schattigen, mit Raureif überzogenen, steilen Wiesenhang, über dem ein Ranken mit Buchen thront, der das sanfte Morgenlicht nur in weichgezeichneten Streifen hindurchscheinen lässt. Im Hintergrund das wellige Hügelland mit rötlichen, hölzernen Hopfensäulen, das ist Vintage Hallertau – ein würdevoller, feierlicher Auftakt, wie man sich ihn fürs Naturpilgern nicht besser vorstellen könnte. Es ist ein stiller Morgen, nur wenige Menschen sind unterwegs. Wir fangen ein paar verdutzte Blicke ein, wandernde „Rucksack-Dudes“ sind hier die Seltenheit. Die Vögel (Girlitz, Feldlerche, Grünspecht, Kleiber, Meisen, Misteldrossel, Amsel), die wir am Anfang noch auf den Feldern und zwischen Ranken und Waldstreifen gehört haben, hören wir nur noch selten aus der Ferne. Der Asphalt und die um uns liegende Stille lassen unsere Stimmen verloren klingen.
Wir passieren Niederlauterbach und sehen bald auf der gegenüberliegenden Anhöhe die Wallfahrtskirche von Rottenegg. Auch wenn sie uns nach gut sieben Kilometern einen zusätzlichen Anstieg abverlangt, können wir uns diese Station auf unserer heutigen Tour natürlich nicht entgehen lassen. Der Ausblick vom Kalvarienberg über den Ort und das Hügelland ist den kleinen Umweg wert. 1150 wurde hier eine Burg erbaut, davon zeugt noch die Gruft, die ein wenig unterhalb der Bergkirche liegt und früher zu den Kellergewölben der Burg gehörte. 1704 wurde die Burg während des Spanischen Erbfolgekrieges von brandschatzenden österreichischen Reitern und englischen Husaren schwer beschädigt. Die Gräfin Rivera ließ aus den Mauerüberresten 1722 als Andenken an die einstige Burg eine Kapelle erbauen, neben der sich immer noch das Grab des französischen Brigadegenerals H. Lambert befindet.
Für mich geht es ab Rottenegg „in die Fremde“, für Tobi geht es Richtung Vorfahren. Wir durchqueren mit dem 12-Uhr-Läuten Obermettenbach und entdecken nach einer kleinen Hügelrallye in Oberpindhardt einen Hof, an dem ein Schild mit der Bezeichnung „der Schmie“ hängt – es ist der Hof, wo der Bruder von Tobis Großvater dem Schmiedehandwerk nachgegangen ist. Hausnamen sind in der ländlichen Gegend eine schöne Tradition, so kommt nach der kleinen geschichtlichen Exkursion an der Bergkirche nun noch ein Stück Familiengeschichte hinzu. Wir schwelgen bereits in Erinnerungen und Vorstellungen über die Generationen vor uns, noch ehe wir die Hälfte der Strecke hinter uns gelassen haben. Als wir auf eine T-Kreuzung zugehen und uns fragen, wohin wir abbiegen müssen, taucht wie von Zauberhand im Hof neben uns ein graumelierter, freundlicher Herr auf, der mit seinem perfekt sitzenden schwarz-roten Puma-Jogging-Anzug aus dem ländlichen Ambiente heraussticht. Wie sich herausstellt, ist sein Style-Faktor ebenso hoch wie seine Ortskenntnis. Pilger-Glück. Wir schnappen ein paar Routentipps auf und passieren auf dem Weg nach Aiglsbach einen steilen Wiesenhügel, der am Fuß mit harzig-duftenden Holzstößen gesäumt und auf der Kuppe mit einzelnen Kiefern bestückt ist. Ein wunderbares kleines Idyll, das uns ans Altmühltal oder die Toscana denken lässt.
In Aiglsbach grüßt uns ein weiteres Hofnamensschild, der „Urzt“, was ich deswegen witzig und seltsam finde, weil der „Urz“ der Hausname der Hofstelle ist, auf der ich aufgewachsen bin. Diesen Namen haben weder meine Eltern noch mein Bruder oder ich irgendwo sonst schon einmal gehört, nach dem „Schmie“ definitiv eine kuriose Fügung. Ein paar Kilometer später sind wir am großen Wald angekommen, dem Dürnbucher Forst, jetzt ist es Zeit für eine verspätete Mittagspause. Aufgrund einiger intensiver Fotosessions und meines Intervallfastens habe ich seit 18 Stunden nichts mehr gegessen und dem Pilgertrip ungewollt gleich noch einen asketischen Aspekt hinzugefügt. Bevor wir in den Wald eintauchen, passieren wir ein Landschaftsschutzgebiet für Wiesenbrüter und kehren der Zivilisation für die nächsten 12 Kilometer den Rücken. Es ist immer noch Eis auf den Wasserpfützen, Wenn ich mich umdrehe, stehen die Chancen gut, dass Tobi frisches Waldschaumkraut mampft, das mit seiner wohlschmeckenden Schärfe an Kresse erinnert.
Schnell wird es einsam, die Luft ist mit 7 Grad frisch und klar, Ginsterbestände weisen auf sandige Böden hin. Doch neben den trockenen Stellen befinden sich in diesem Wald auch viele Quellen und Fischteiche mit Forellen. Die Wegnamen wie „Fürstenstraßl“, „Stachus“, „Spitzweg“ oder „Siegenburger Rittweg“ sagen uns zwar nichts, deuten aber an, dass die Orientierung hier eine Rolle spielt. Je weiter wir in die große Einsamkeit vordringen, desto mehr fühlt sich der Forst wie eine andere Welt an. Der meditative Charakter, den unsere Wanderung nun erhält, beschwört den Pilgergedanken verstärkt herauf. Nach einiger Zeit der Stille wackelt uns auf einmal auf einer ewig langen Geraden ein kleines Licht entgegen. Wir hören nichts und reiben uns die Augen, bis wir erkennen, dass es wohl ein Radfahrer sein muss. Die Dämmerung ist nicht mehr allzu weit entfernt, was macht der hier alleine mitten in diesem großen Wald? Er stellt sich schließlich als ein circa 20-jähriger, bayerisch sprechender Hipster heraus, der einfach mit seinem „Oma-Radl“ losgezogen ist und den Weg nach Neustadt an der Donau sucht. Von den raren menschlichen Begegnungen heute ist dies die bizarrste. Wir helfen so gut wir können, können aber eine gewisse Lost-Highway-Stimmung a la David Lynch nicht leugnen.
1.5 Kilometer vor Ankunft verändert sich der Wald deutlich: er wird grüner, uriger, weist mehr Moos, und Heidekraut, die Luft ist feuchter und es riecht nach Pilzen. Dann eine letzte Wendung, die uns überrascht und verzaubert. Der Wald hat sich in eine graugrüne, samten schimmernde Halle verwandelt. Ihr Boden erstreckt sich in langgezogenen, sanften Wellen, darauf ein Teppich aus Moos und Heidelbeerkraut sowie hohe, schlanke Kiefern und vereinzelte, zarte Jungbäume. Ein kleines Wunder, das sich erst ganz am Ende unseres Weges offenbart. So ein Geotop habe ich in der Hallertau noch nie gesehen. Es zieht uns weiter in das Naturschutzgebiet hinein und plötzlich sind sie da: Dünen aus feinstem Flugsand, bis zu zehn Meter hoch, von Winden in der letzten Eiszeit hergeweht. Erst nachdem sie hier im Binnenland genügend bewachsen waren, hörten sie auf, sich zu bewegen. Das trockene, magere Areal wird gepflegt, damit seltene Tier- und Pflanzenarten wie Frühlings-Spark, Sandstrohblume und blauflügelige Sandschrecke auf den baumfreien, offenen Bereichen mit Silbergrasfluren und Flechtenteppichen weiter bestehen können. Deswegen sollte man auch unbedingt auf den Wegen bleiben.
Ich ziehe die Schuhe aus, betreibe am Wegesrand noch ein wenig Shinrin Yoku (Waldbaden) und sauge diesen besonderen Ort mit allen Sinnen auf. Der kalte Sand macht schnell frisch, das Barfußgehen tut meinen Füßen gut. Es war ein bereicherndes Erlebnis, sich dieses Naturdenkmal zu erwandern und ihm auf diese Weise Respekt zu erweisen. Ein wunderbarer Tag mit vielen unerwarteten, entrückten und nachdenklichen Momenten geht zu Ende. Es bleibt ein Gefühl der Demut und Dankbarkeit. Sollte das dem angedachten Pilgerfeeling nahekommen, waren Tobi und ich wohl schon öfters Pilgern, ohne es zu ahnen.
Genuss hoch 2
Wer für das nächste Mikroabenteuer nicht so viele Kilometer zurücklegen möchte, findet sicher Gefallen an einer Genusstour: Wie wäre es beispielsweise mit einer Kräuterwanderung und anschließendem Brotbacken?
Tour:
Ein Wildkräuterbrot Michael Urban entdeckt die LOWA-Heimatregion.
Wie das wohl früher war… als die Menschen in der Natur nach Wildkräutern wie etwa den Giersch suchten, um Hungersnöte zu überstehen oder während der Weltkriege ihre Vitaminzufuhr zu sichern. In der heutigen Zeit der Nahrungsergänzungsmittel kaum mehr vorstellbar. Genug Anreiz für mich, meine Crew zu aktivieren und eine Kräutersuche als kulinarisches Micro Adventure bei uns in der Hallertau auszuprobieren. Unser Plan ist es, so viele Wildkräuter in der freien Natur zu sammeln, dass wir damit ein Faltenbrot backen können. Das wird unser erster Versuch, zudem hat es draußen gerade einmal 3 Grad. Also, maximaler Einsatz! Wir sind neugierig und uns läuft das Wasser schon im Mund zusammen.
Praktischerweise kennt mein Abenteuerkollege Tobias sowohl ausreichend essbare Wildkräuter als auch einige Standorte, wo sie hoffentlich auch schon jetzt, Mitte März, wachsen. Ich alleine hätte selbst mit Kräuterbuch keine Chance gehabt, die Aktion in einem halben Tag und ohne Kollateralschäden durchzuziehen. Einige Kräuter wie zum Beispiel Bärlauch oder Scharbockskraut sollte man nicht nach ihrer Blüte essen, andere wie das Maiglöckchen, das dem Bärlauch ähnlich sieht, sind sehr giftig. Wir geben zwar wie Deadpool „maximalen Einsatz“, aber die Selbstheilungskräfte des Marvel-Superhelden haben wir leider nicht. Am besten lässt man sich von einem Experten wie einem Wildkräuterpädagogen instruieren oder tastet sich vorsichtig mithilfe guter Literatur heran. Oder man hat Glück und Freunde, die Ahnung haben und mit anpacken. So auch unsere Ladies Elena und Anna, die beim Sammeln mithelfen und die Hefe vorbereiten.
Wir starten an einem frischen Sonntagnachmittag, die letzten Wochen war es kalt mit Nachtfrösten, es hat sogar ein paar Mal geschneit. Falls wir Kräuter finden, sind sie sicher noch zart, frisch und wohlschmeckend. Wir steigen einen steilen Wiesenhang hinauf, der ein paar hundert Meter von Elenas und Tobis Zuhause entfernt ist. Elena verzieht das Gesicht, als uns kalter Wind entgegenbläst. Doch bald schöpfen wir Hoffnung. Wir entdecken die ersten Farbtupfer in der noch recht braunen und tristen Umgebung: violette und weiße Krokusse läuten neben Schneeglöckchen und himmelblauen Hasenglöckchen den Frühling ein.
Ein paar Minuten später sind wir an unserem ersten Kräuter-Spot, einem kleinen schattig-feuchten Waldstreifen, der von Wiesenhängen unterbrochen wird. Hier finden wir zuerst das herbe, etwas scharf schmeckende Scharbockskraut (Verwechslungsgefahr mit Hahnenfuß-Gewächsen!). Fällt der Geschmackstest „stechend-bitter“ aus, hilft Trocknen vor dem Verzehr. Aufgrund seines hohen Vitamin-C-Gehalts gehörte dieses Kraut früher zum Reiseproviant von Seefahrern, die zwar Zitronen und Sauerkraut, aber meist kein Gemüse oder Obst auf ihren Seereisen dabeihatten. So konnten sie der Vitamin-C-Mangelkrankheit Skorbut vorbeugen. Daher lautet die alte Bezeichnung für Skorbut „Scharbock“. Ist Etymologie nicht etwas Schönes? Ein paar Meter weiter spitzt auf circa 75 Quadratmetern frischer Giersch aus dem Boden. Für die meisten ist der Doldenblütler ein Unkraut, das den Garten zuwuchert. Roh schmeckt und riecht Giersch ein wenig wie Möhren oder Petersilie gemischt mit dem harzigen Aroma einer Mango, gekocht dann hingegen wie Spinat. Am dreikantigen Blattstiel kann man ihn gut erkennen und von ungenießbaren und giftigen Arten wie dem Gefleckten Schierling oder Breitblättrigem Merk unterscheiden. Ich beginne zu sammeln, während Elena und Tobi – Vogelschützer, die sie sind – die Vogelfütterung im benachbarten Wäldchen neu auffüllen. Das Ernten ist relativ mühsam, weil der Giersch nur circa ein paar Zentimeter aus dem Boden schaut, dafür ist er an Frische nicht zu überbieten.
Als wir wenig später auf einem kleinen Pfad ein Schlehendickicht durchqueren (hierher müssen wir in einem Monat zur Blüte unbedingt zurückkommen!), überrascht uns ein melancholisch tönendes Klü-Klü-Klü-Klü: die fallende Rufreihe eines Grauspechts, was deshalb etwas Besonderes ist, weil diese Spechtart weitgehend heimlich lebt. Wir flirten ein, zwei Mal mit ihm, indem wir seinen Ruf nachahmen, lassen ihn dann aber in Ruhe, so dass er von dannen flattert und wir weiterziehen. An einem stillgelegten Hopfengarten finden wir einen Teppich von Vogelmiere. Gut für uns, denn die Vogelmiere gehört in die Teigmasse für unser Brot. Unsere Vorfreude wächst, keiner von uns hat schon einmal so etwas Aufwendiges und Deftiges wie ein Brot mit Wildkräutern gemacht. Mittlerweile müssen wir immer wieder die klammen Finger in den Handschuhen aufwärmen, da uns das Gefühl aufgrund des kalten Windes abhanden kommt. Nebenbei naschen wir ein wenig, die Vogelmiere schmeckt wie junger, roher Mais oder Erbsen, einfach immer wieder überraschend. Nach dieser Station verabschiedet Elena sich, um mit Anna den Teig vorzubereiten.
Tobi und ich machen an einem sandigen Ranken mit Ginster- und Holunderbüschen Halt. Obwohl es hier relativ braun und erdig aussieht, entpuppt sich der kleine Hangstreifen als vielseitiger Mikrokosmos. Das bittere Schaumkraut und die Ackerveilchen interessieren uns zwar nicht, daneben finden wir aber das vielseitige Wiesen-Labkraut (schmeckt wie eine Mischung aus Rucola und Kopfsalat) und Ehrenpreis, der mit einem bitter-herben und leicht balsamischen Geschmack als Heilkraut Tradition hat. Langsam dämmert es, dazu kommt leichter Hagel, unser Korb ist erst halbvoll. Es muss noch etwas her, wenn wir unser Plan gelingen soll!
Ich würde gerne noch Bärlauch und Brennnesseln finden. Letztere weisen viele Mineralien, Vitamin A und C, Eisen und Eiweiß auf und würden unseren Korb schneller füllen, da sie meist in Gruppen wachsen. Ich treibe uns zu einer kleinen Runde durch den Wald an. Auf dem Weg dorthin zieht es mich wie magisch zu einem Feldweg, der von einem circa 1 Meter breiten Wiesenstreifen begleitet wird. Ich schaue genauer hin, schiebe das lange, welke Gras zur Seite und entdecke… Brennnesseln! Entweder ist es pures Glück, denn bis dahin hatten wir noch keine Spur von ihnen gesehen. Oder ich habe Brennnesseln (ggfs. mit Schere oder Handschuhen ernten und die Blätter, waschen, walzen und klein schneiden, um die Wirkung der Nesselhaare zu neutralisieren) beim Spazieren, Wandern oder Joggen schon so oft in ähnlicher Umgebung gesehen, dass mir unbewusst klar war, wo sie ungefähr zu finden sind. Eine verrückte Erfahrung. Ein bisschen peinlich, weil ich gerne besser über die Pflanzen und ihre Standorte Bescheid wissen würde. Aber auch irgendwie cool, dass man unterschwellig über solche Informationen zu verfügen scheint. Man müsste sie nur aktivieren. Die purpurrote Taubnessel von nebenan schmeckt überraschend waldig-pilzig, ein zusätzlicher Gewinn für unser Brot!
Bei unserer kleinen Runde im Wald finden wir zwar keinen Bärlauch, aber am Waldrand noch ein paar Nesseln und einiges an Vogelmiere. Wir begegnen zwei Hasen, in diesem Fall Konkurrenten um die frischen Kräuter. Als es schon fast dunkel ist, entdecken wir im lichten Wald zwischen jungen Brombeerpflanzen ein stattliches Gierschvorkommen. Die Pflanzen hier sind schon deutlich größer als ganz am Anfang unserer Unternehmung und wir nutzen die Chance, um unseren Korb voll zu machen. Mit Sammeln und Fotografieren waren wir gut vier Stunden unterwegs, jetzt hoffen wir, dass Teil zwei, das Backen unseres Kräuterbrotes, ebenso gut wie das Sammeln verläuft.
Unsere Ladies haben mittlerweile schon den Teig mit Dinkelmehl, Wasser, Hefe, Salz, Honig, Olivenöl und der kleingehackten Vogelmiere zubereitet, letztere dient zur Färbung und um dem Geschmack noch eine weitere Note zu geben. Nun hacken wir Mozzarella, die Zwiebel, den Bärlauch vom Vortag und die restlichen Kräuter klein, fügen Salz und Pfeffer hinzu und verteilen die Mischung auf dem ausgerollten, grünlichen Teig. Sieht schon mal vielversprechend aus, wir haben genau die richtige Menge an Kräutern zusammengebracht. Wir schneiden den belegten Teig in Streifen und legen ihn so zusammen, dass es in eine Backform passt. Danach kommt das Faltenbrot für 30 bis 60 Minuten bei 180 Grad in den Ofen. Tobi und ich kochen in der Zwischenzeit eine Suppe draußen am Lagerfeuer, die ebenfalls ein paar unserer Kräuter abbekommen hat. Unser Abendessen verfeinern wir stilecht mit Zutaten aus unserer Heimat: Wildsalami und -pfefferbeißer aus dem Jagdrevier meines Vaters, Mutterns Haselnussmuffins mit Nüssen aus der Plantage meiner Tante und Blaubeeren, die ich letzten Sommer im Feilenmoos geerntet und eingefroren habe. So einfach und solch Luxus zugleich… Trotz unseres Hungers halten wir inne und freuen uns über so gute, natürliche und gesunde Nahrungsmittel. Und dazu kommt als Hauptdarsteller unser frisch gebackenes Kräuterbrot. Das sehr „grün“, erstaunlich gut und zu verschiedensten Speisen schmeckt. Auch wenn wir es nächstes Mal noch stärker würzen dürfen, sind wir mit unserem ersten Versuch überaus zufrieden. Mit vollen Bäuchen, von Nesseln brennenden Fingern und viel Lachen klingt unser Tag aus. Maximaler Einsatz – maximales Ergebnis.